Donnerstag, 9. Februar 2017

Fans, Gegner - und eine Mitte

Die Tage in der Stadt geben mir noch einmal mehr Zeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen – und nach ihren Ängsten, aber auch Wünschen zu fragen. Ich weiß, dass Politik ein sensibles Thema ist. In den vergangenen Tagen sind immer wieder Situationen aufgekommen, in denen sehr deutlich wurde, dass jemand nicht zu seiner Haltung über den neuen Präsidenten sprechen wollte – oder jemand anderes nicht wollte, dass Politik zu sehr thematisiert wird.

Doch ich bin in einer Zeit in Minnesota und Wisconsin, in der Donald Trump die deutschen und europäischen Medien dominiert, in der in der Heimat offen jeder Schritt des neuen Präsidenten kritisiert wird, und in der in unserer Berichterstattung auch immer wieder ein Hauch von „Wie können die nur so doof sein?“ mitschwingt.
Genau das kann aber fatal sein, gerade wenn es darum geht, dass auch bei uns politische Entscheidungen anstehen.

Ich habe natürlich auch offene Trump-Anhänger getroffen. In Wisconsin hatte Trump mit die Basis für seinen Wahlsieg gelegt. Viele setzen hier darauf, dass Trump seinen Wahlslogan „Make America Great again“ wahrmachen wird.
So wie Mary etwa: Ihr Mann hat sich mit einem kleinen Unternehmen selbstständig gemacht, und die 45-Jährige hat Trump gewählt, weil sie seinen Einsatz für den Mittelstand schätzt. „Ich finde sein Auftreten auch nicht immer richtig und ich hoffe, dass er sich mit dem Amt noch ein wenig mäßigen wird, aber ich stehe voll hinter seinem Wahlprogramm“, sagt sie.

Genau diese Ambivalenz nehme ich bei vielen wahr – nicht alle sind so klar in Trump-Fans und Trump-Gegner einzuteilen wie wir uns das vielleicht wünschen würden.
Ein homosexueller Mann aus Chicago, den ich auf der Reise treffe, ist zwar deutlicher Kritiker des neuen Präsidenten. „Natürlich habe ich Angst, dass die Präsidentschaft vor allem für unsere Rechte einen enormen Rückschritt bedeutet“, sagt er. Aber er betont auch: „Gleichzeitig hat er aber auch gute Ansätze in seinem Programm. Es ist wie bei vielem im Leben, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß: Wie jeder andere Präsident hat Trump schlechte, aber auch gute Ideen. Das war auch bei Obama nicht anders.“

Ethan, ein 37-jähriger Dachdecker, bringt es auf den Punkt. „Ich habe Obama eine Chance gegeben, ich muss Trump eine Chance geben“, sagt er. „Ich bin kritisch, ob er der richtige Mann ist. Aber er ist gewählt, und damit müssen wir aktuell alle arbeiten.“

Mittwoch, 8. Februar 2017

Zurück in der Zivilisation

Stadtführung statt Schneemobil-Tour, kleine Parkanalgen statt endloser Wälder – und ja, auch mal ein Rock statt Thermo-Wanderhose (wenn auch immer noch mit dicker Strumpfhose): Nach fünf Tagen in den abgelegensten Regionen Nordamerikas sind wir zurück in der Zivilisation.

„Zum Ende unserer Reise bekommt ihr nach unseren wilden Erlebnissen noch einmal eine volle Ladung urbanes Erlebnis“, hat unser Reiseführer Toby bereits auf dem Weg in die Twin Cities angekündigt. Die Twin Cities, das sind Minneapolis und St. Paul – zwei Schwestern, in deren Metropolregion insgesamt etwa eine Million Menschen leben, die aber verschiedener nicht sein könnten: Denn während in Minneapolis viele historische Gebäude abgerissen und durch moderne Bauten mit Hochglanz-Fassaden ausgetauscht wurden, ist St. Paul für seine gut bewährten historischen Gebäude bekannt. Die Kathedrale etwa: Mit genau 100 Jahren ist sie im Vergleich zu vielen europäischen Gebäuden ein Jungspund, in Nordamerika jedoch ein historisches Schmuckstück, das laut Tripadvisor Publikumsmagnet Nr. 1 ist.


A propos „Nr. 1“: Mit dem Besuch der Mall of America endet unsere Reise. Und auch wenn ich anfangs skeptisch war, ob ein Einkaufszentrum mit eingefrorenen Seen mithalten kann, muss ich sagen: Es kann. Denn die Mall of America ist der weltweit größte Einkaufs- und Vergnügungspark, neben 520 Geschäften lockt ein ganzer Freizeitpark, unter anderem mit der längsten Seilbahn Nordamerikas (die ich natürlich gleich ausprobiert habe!). 40 Millionen Besucher pro Jahr – und das seit 25 Jahren. „Wir erwartet dieses Jahr unseren 1.000.000.000. Besucher“, sagt Marketing-Chef Douglas stolz.

Das Besondere: Minnesota gehört zu den wenigen Bundesstaaten, in denen auf Klammotten und Schuhe keine Steuer fällig ist. Zusammen mit zahlreichen Rabattaktionen lässt sich so – vor allem für Marken-Einkäufer – das ein oder andere Schnäppchen machen. Weil die Mall in unmittelbarer Nähe des Flughafens Minneapolis/St. Paul liegt, planen viele einen Shopping-Stopover ein. „In England gibt es immer wieder besondere ‚Shop til you drop“-Angebote“, erklärt Douglas mit einem Grinsen. Am Freitagnachmittag mit einem Direktflug von London in den Flieger lässt einem dank der Zeitverschiebung noch etwa drei Stunden bis Ladenschluss um 21.30 Uhr – danach in eines der nahen Hotels Einchecken, Samstag und Sonntag powershoppen und Sonntagabend wieder in den Flieger. „Nach der Landung am Montagmorgen um 8 Uhr gehen sie dann direkt ins Büro.“ Der Clou: Durch die Preisersparnisse im Vergleich zum teuren London lassen sich so, kauft man bloß genug, die Flugkosten wieder „reinholen“.

Ich belasse es bei einem kleinen paar Ohrringe als Andenken an die Woche – mehr hätte nach den ersten Tagen, in denen ich meinen Kofferinhalt quasi nachkaufen musste, auch nicht mehr ins Gepäck gepasst. Zum Treffpunkt zur Abfahrt zum Flughafen komme ich dann auch gleich einmal zu spät – aber nicht nur ich. Wir alle haben uns in den Gängen der Mega-Mall zwischenzeitlich verlaufen.





Dienstag, 7. Februar 2017

Leben am See


Gespannt schaut Paige auf die kleine Maschine, auf der rote Striche tanzen. Sie lässt die Angelrute ein wenig sinken, prüft den Fischschwarm-Radar – und zieht die Angel mit Schwung nach oben. 

Paige ist 13 und fast jeden Tag auf dem See Nelson, um gemeinsam mit ihrem Vater zu fischen. Wann sie das erste Mal mit ihm war, weiß sie heute nicht mehr. „Ich mache das irgendwie schon immer.“ Mike Best lacht stolz und klopft seiner Tochter auf die Schulter,  als sie einen kleinen Crappie an der Schnur aus dem Wasser zieht.



Das Wasser ist – neben dem Feuer, das die Wärme bringt – das vielleicht wichtigste Element hier im Norden Amerikas. Die Great Lakes, die großen Seen, sind in der gleichnamigen Region immer präsent: Im Sommer zum Schwimmen, Picknicken, Wandern, im Winter zum Eisangeln oder zur Schneemobil-Tour.

Am Wochenende flitzen ganze Gruppen auf ihren Schneemobilen über die Seen und durch Wälder, um in der nächsten hölzernen Gasthütte auf ein Bier zu halten.


Und dann sind da in Wisconsin ja auch noch die Autorennen, die in vielen Städten jeden Sonntag stattfinden – für Rennfahrer, denen Autorennen nicht schon genug Nervenkitzel ist.






Montag, 6. Februar 2017

Glück ist...

...wenn der verschollene Koffer nach fast sechs Tagen ins richtige Hotel geliefert wird.


Samstag, 4. Februar 2017

Fine Dining in Wandershoes

Die Zeit auf unserer Reise ist immer knapp - schnell essen, Fotos machen, letzte Fragen an unsere Gesprächspartner, und ab geht es zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung.

"Heute Abend haben wir endlich einmal Zeit, in Ruhe zu essen und uns zu unterhalten", sagt unser Reiseleiter Toby heute. Es wartet ein Sechs-Gänge-Menü mit Merlot-Weinverkostung, der richtige Wein zu jedem Gang. Das Rottenhouse Inn in Bayfield bietet seit 1994 solche Weinverkostungs-Abende an - anfangs mit zwei roten Weinen, heute mit einer ganzen Auswahl. Wir sind Gäste, und so probieren wir, was uns vom hervorragenden Service serviert wird.

Und ich bin heute besonders glücklich. Denn weil unser Zeitplan so knapp ist, hat niemand in der Gruppe Zeit, sich umzuziehen - und ich, die immer noch nur ein Paar Schuhe hat, ist endlich nicht die einzige, die zum "Fine Dining" in Wanderschuhen kommt. 




Ein Meer aus Eis

Die Fähre steht bereit – doch dass wir an diesem Wintertag mit ihr übersetzen können, ist nicht selbstverständlich. Zwischen einer Woche und drei Monaten friert die Verbindung zwischen Madeline Island und dem Festland zu einer „Eisstraße“ zu. Dann fahren Autos über das Eis und sparen sich damit nicht nur das Warten auf die kleine Fähre, die nur viermal am Tag ablegt, sondern auch die rund 20 Euro für die Überfahrt..


Regelmäßig misst eine heimische Familie auf der Insel, auf der nur rund 250 Menschen das ganze Jahr leben (im Sommer werden es 10mal so viele!), die Eisdicke. In bestimmten Abständen wird die Fahrtspur von einer auf die andere Seite verlegt, und ist das Eis insgesamt zu dünn, steht nur noch der „Windschlitten“ zur Verfügung: ein mit Windkraft betriebenes Gefährt, das über das Eis gleitet. Oder eben die Fähre, wenn eine Bahn frei von der Eisschicht ist...

„Wir haben großes Glück, es ist noch niemand ins Eis eingebrochen“, erklärt uns ein Einwohner bei einem Trip um die rund 18 Kilometer lange Insel mit glücklichem Lächeln. „Wie, noch nie?“ – „Ach was, in dieser Saison!“
Tatsächlich passieren immer mal wieder Missgeschicke. Vor Jahren etwa soll eine Familie den Umzug ihres Dreifamilienhauses im Winter geplant haben. Der Transporter war für das nur auf Autos ausgelegte Eis natürlich zu dünn – und so liegt der Hausrat noch heute auf dem Grund des Lake Superior...









Freitag, 3. Februar 2017

Into the Wild



Auf der anderen Seite des Sees liegt Kanada. Wir sind mittlerweile weit oben im Norden angekommen, und mit Stolz zeigt John Fredrikson auf das Stück Land am anderen Ende der weißen Fläche. „Jetzt, wo der Gunflint Lake zugefroren ist, kann man rein theoretisch bis Kanada rüberlaufen“, sagt John, der gemeinsam mit seiner Frau seit vergangenem Sommer die Gunflint Lodge am Ufer des Sees betreibt. „Hier haben wir glücklicherweise noch keine Mauer.“ John lacht.

Es ist der erste Winter, den das junge Ehepaar das große Anwesen betriebt. Insgesamt 218 Menschen können in den Häusern mitten in der Wildnis schlafen, am Tag warten Skilanglauf, Schneemobil-Touren, Schlittenfahrten und Wanderungen. Handyempfang hingegen ist nicht, WLAN steht nur in bestimmten Gebieten zur Verfügung. „Die Menschen kommen genau deswegen: Sie wollen Entschleunigung", weiß John.


Über eine Million Hektar purer Wildnis gibt es hier oben an der amerikanisch-kanadischen Grenze. Keine öffentlichen Straßen, kein Flugzeuglärm. Das nächste Krankenhaus ist 67 Kilometer entfernt, und wenn ein Baum auf die Straße stürzt, so darf er nicht mit Motorsäge und Maschine, sondern nur händisch entfernt werden.

Auf dem gefrorenen See rasen fünf junge Männer auf ihren Schneemobilen vorbei. Auch eine Art der Entschleunigung, erklärt Kjersti. „Das ist für uns ein perfekter Tag im Schnee, wir machen etwas, das uns Spaß macht, und wärmen uns danach mit heißer Schokolade am Kamin auf.“

Kjersti, die für John das Marketing macht, zeigt uns, wie wir ein Schneemobil fahren. Rechts Gas, links Bremse, „it’s easy!“. Ich bin mutig und versuche mich nicht nur als Beifahrerin, sondern Kurve auch allein über die dicke Schneedecke. Ich weiß jetzt, was Kjersti meint, genieße den Moment und vergesse für einige Minuten mal meine aktuell allergrößte Sorge: meinen noch immer fehlenden Koffer.

Mittwoch, 1. Februar 2017

Wenn einer eine Reise tut...

Die Reise hätte sich nicht besser anhören können: Eine Woche durch Minnesota und Wisconsin touren, den Wintersport in der weißen Wildnis in Bildern festhalten, Ärzte und Versicherte aufspüren, die mit mir darüber sprechen wollen, was sie davon halten, dass ihr neuer Präsident Donald Trump Obamacare abschaffen will.
Doch die Reise hätte leider kaum schlechter starten können: Bereits geboardet, erfahren wir Passagiere an Bord der KLM-Maschine, dass in Amsterdam – unserem Stopp zum Umstieg – der Radar ausgefallen ist. In frühestens zwei Stunden würde es nach der Reparatur „möglicherweise“ weitergehen, und der Anschluss wäre damit ziemlich sicher verpasst. Was also tun? Wir können zwischen zwei Optionen wählen: an Bord der Maschine auf dem Rollfeld verharren und damit mit höchster Wahrscheinlichkeit erst einen Tag später als geplant in Minneapolis ankommen – oder aussteigen, durch das Terminal rennen, den Flug umbuchen lassen und nur leicht verspätet am Zielflughafen ankommen.

Knapp vier Stunden später laufe ich in Reykjavik an das Gate für Flug FI657. Ich habe mich für Variante zwei entschieden, wohl wissend, dass bereits die Reisegruppe mit fünf weiteren Journalisten aus Deutschland und England auf mich wartet.

Als ich die anderen gut acht Stunden später in der Mall of America, dem größten Einkaufs- und Vergnügiungszentrum der USA, treffe, lachen wir. Ich bin die erste, die es aus Deutschland nach Amerika geschafft hat – ein weiterer Kollege musste über Chicago fliegen und erreicht erst um 10 Uhr abends, ein weiterer sogar erst am nächsten Tag. Er verbringt eine Nacht in Amsterdam, weil er den Anschluss wie erwartet verpasst hat.
Doch der Preis für das gewonnene Rennen ist hoch: Denn während ich durch das Frankfurter Terminal gerannt bin, hat es mein Koffer nicht so schnell in den neuen Flieger geschafft. Ich bin ohne mein Gepäck angekommen – und spüre bereits heute Abend, dass das noch Probleme bereiten könnte...
Ein nächtliches Shoppen im 24 Stunden geöffneten Walmart hilft aber zumindest, den nächsten Tag zu überbrücken.